Sonntag, 18. November 2007

Leben ist Erwachen

Authorin: Helen (Huiwen) Zhang, Dichterin und Komparatistin



Das Feuer auf dem Meer
-- zu Cris Person und Schöpfung


Deine Leidenschaft legt Feuer überall.
Einen Strauß Sonnenblumen,
Entflammst du. Ein Zypressendickicht,
Entflammst du. Noch unter der Sonne
Laufende Menschen, auch sie sind Flammen,
die in die Höhe heulen.

So beschreibt der moderne chinesische Dichter Feng Zhi Van Gogh. An diese Verse wird man erinnert, wenn man Cristina kennenlernt oder auch nur ihre Malerei betrachtet.

„Eine Italienerin par excellence.“ Das war mein erster Eindruck von Cri, die fast alle Vorurteile ver­schär­­fend bestätigt und gerade darum einzig und unnachahm­lich bleibt: voller Reiz, Tempera­ment und Überschwang, voller Neugier, Sehn­sucht und Anmut. Sie denkt wie eine Philosophin, spricht wie eine Prophetin, bewegt sich wie eine Fee und malt wie eine Köchin der Phantasie.
"Nuvolando", 60x80, Acryl

„Ich spiele gerne mit Farben“, sagte Cri, als wir zusammen vor ihrem Bild Nuvolando standen. Laut ihrer Erklärung nannte ich es Die Träumerei der Wolken. Darin findet sich keine feste Form, nur tanzende Farben – blau, grün, rosa, violett, orange, golden, weiß. Hier und da taucht vielleicht ein Tröpf­chen, eine Feder oder ein Stängel auf, doch im nächsten Moment verschwinden sie schon und hinterlassen nur die ebenfalls rasch verschwindenden Spuren.
Emozione, 60x80, Acryl

Daneben war Emozione, Cris Lieblingsstück. Im Vordergrund herrscht das dicht-kremige, glühende und zäh fließende Gelbrot: Wie ein Wasserfall aus goldenem Honig stürzt es vom Himmel zur Erde herab und durchstrahlt das ganze Bild. Unten rechts finden sich aber ein paar Wurzeln in dunklen Farben. Gleich einem unauffälligen Wunder kennzeichnen sie das Leben am Fuß eines Vulkans oder das Miterleben und Über­le­ben einer Explosion.


"La Pietà", 60x80, Acryl

Dreht man sich um 90 Grad, so sieht man La pieta. Der Ewigen Stadt Rom verdankt Cri die ent­schei­­­dende Anregung. „Mich interessiert weniger die Religiosität als die Schönheit.“ Die Trauer um Jesu Tod tritt zurück; die Ver­einigung von Mutter und Sohn tritt hervor – Cri ging es um das allgemein Menschliche und "die ewige Wiederkehr des Gleichen". Darum verlieh sie diesem Augenblick gewisse Hoffnung: Um die beiden Figuren herum malte sie hell leuchtende Ringe, die sich unausgesetzt im Kreis bewegen. Eine für ihre Stille berühmte Szene gewinnt somit Dynamik. Jedes Ende birgt in sich einen neuen Anfang.



La pieta gegenüber befand sich eine von Athen inspirierte Reihe: zwei Akte zu Discobolos und drei zu Decathlon. Außer „Schönheit“ und „Dynamik“ wählt Cri auch „Energie“, „Plastizität“ und „Span­nung“ als Kernbegriffe ihrer Konzeption. Bei diesen Akten nimmt man jedes Gelenk, jeden Muskel und jede Ader in den jeweiligen Disziplinen wahr, und lernt – voll Ehrfurcht und Erstaunen – seinen eigenen Körper kennen. Mit dem Physischen hängt das Psychische zusammen. Insofern vertritt jedes sanfte Gelenk einen Gedanken, jeder gespannte Muskel ein Verlangen und jede hervortretende Ader eine Erregung. Leib und Seele feiern ihr gemeinsames Fest. Die strebenden Athleten ähneln Apollo und um jeden Apollo kreisen dionysische Wirbel. Da kann sich kaum ein Betrachter der Mitbewegung enthalten.

„Aber ich bin inzwischen doch ruhiger geworden.“ Während wir in einer Nacht vor dem Kamin saßen, eröffnete Cri sich mir. „Wegen Ralf?“ Meine Frage war eher eine Feststellung: Seit über vier Jahren beobachte ich, wie Ralf, Cris deutscher Ehemann, das Feuer in ihr anzündet und zugleich besänftigt, so daß ich nun in ihren Augen nicht nur Flammen, sondern auch Flüsse sehe. Gerade dank dieser schön entwickelten Ruhe nimmt die Unruhe in Cris Malerei an Tiefe und Eindringlichkeit zu.

Ich frage mich jetzt: Wann brennt das Feuer am unglaublichsten?

Die Antwort wäre: Wenn es stillschweigend inmitten des Meers leuchtet.

Helen (Huiwen) Zhang